„Abschied ist die innigste Form menschlichen Zusammenseins.“ (Hans Kudszus)

Sehr geehrte Leserschaft,

Der Abschied ist ja sozusagen das Stiefkind menschlicher Beziehungen.

Dabei ist der Abschied gerade so wichtig! Das Ende einer Beziehung prägt das Ganze der Beziehung oft beträchtlich. Manchmal sogar überdimensional. Da werden dann viele schöne Jahre, viele gute Taten mit einem Mal vom Tisch gefegt – verletzt und wutentbrannt aufgrund der letzten Aktualisierung des Beziehungsstatus‘.

Aber auch außerhalb von Paarbeziehungen und außerhalb der Familie, haben Abschiede eine ganz besondere Position in unserem Leben verdient. Man sieht sich vielleicht zum letzten Mal oder man sieht sich nicht mehr in dieser Form.

Man arbeitet zum letzten Mal miteinander. Man schläft zum letzten Mal als Nachbar in diesem Haus. Man beendet das Studium an einer Hochschule, …

Im Zeitalter des Internets nehmen wir uns gerne vor, in Kontakt zu bleiben, um dem Abschied die Schärfe zu nehmen. Tatsächlich können das die meisten Menschen – je nach Freundesanzahl auf Facebook – gar nicht leisten. Das stellt man aber erst fest, wenn der Moment des Abschieds eigentlich schon lange vorbei ist. Wir tragen massenhaft verschleppter Abschiede mit uns herum.

Wenn jemand stirbt dann gibt es aber keinen Facebook-Airbag mehr. Dann prallt einem die Endgültigkeit mit voller Wucht entgegen.

In Abschieden sind wir jedoch ungeübt. Gerade auch in Abschieden, bei denen einer fehlt.

Wie verbleiben wir miteinander, wenn einer geht und nicht wieder kommt?

Wenn man sich einmal umhört, bei den Menschen, die den Hinterbliebenen beruflich dabei helfen, den letzten Abschied zu gestalten, dann hört man ein Wort immer und immer wieder:

Würde.

Nichts gegen Würde. Aber ehrlich gesagt, stünde Würde nicht unbedingt ganz oben auf der Wunschliste, wenn ich meinen letzten Abschied gestalten dürfte.

Ich würde mir als allererstes einen liebevollen Abschied wünschen.

Er sollte auch ein wenig heilsam sein und tröstlich. Er sollte an mich erinnern, nicht nur an die offensichtlich tollen Dinge, sondern auch daran, was andere regelmäßig wahnsinnig gemacht hat. Ich möchte, dass möglichst viele Menschen persönlich von mir Abschied nehmen können – und damit meine ich sowohl Anwesenheit als auch Art und Weise.

Ich möchte, dass es ein bewusster Abschied ist. Nicht so ein „Wir sehen uns dann auf himmel-vz.de…“

Und ich würde mir wünschen, dass zum anschließenden Kaffeekränzchen alle kommen können, die das möchten. Niemand, außer mir, kennt ja alle Menschen, die in meinem Leben wichtig waren. Wahrscheinlich, wenn ich es recht bedenke, kenne nicht einmal ich alle Menschen, die in meinem Leben wichtig waren. Wem ich also wichtig war, der soll ein Stück Kuchen bekommen, egal ob er auf einer Liste steht oder nicht.

Würde. Das ist dieser Themenkomplex Geltung-Ernst-Ansehen-Verdienst-Ehre-Wert. Da habe ich mich ehrlich gesagt nie drin wieder gefunden. Falls ich mich jemals aus den Augen verlieren sollte, würde ich mich dort auch eher zuletzt suchen. Naja vielleicht nicht gerade zuletzt. Jedenfalls erstmal woanders.

Bei einer würdigen Bestattung wäre ich ein Fremdkörper und die meisten meiner Lieben auch.

Einen gelungenen Abschied stelle ich mir vor allem innig vor.

Das ist dieser Themenkomplex:

herzlich,

tief empfunden,

eng verbunden,

andächtig,

vertraut,

zugeneigt.

Wenn sich das machen ließe: es wäre mir wirklich ein inneres Kirschblütenfest.

Mit innigen Grüßen

Fräulein Bork

„Das Bewußtsein unserer Sterblichkeit ist ein köstliches Geschenk – nicht die Sterblichkeit allein, die wir mit den Molchen teilen, sondern unser Bewußtsein davon. Das macht unser Dasein erst menschlich.“ (Max Frisch)

Sehr geehrte Leserschaft,

 

die alten Römer pflegten ihren siegreichen Feldherren bei deren Triumphzug einzuflüstern: Memento moriendum esse! (in etwa: Bedenke, dass Du sterblich bist!). Wahrscheinlich, damit die Herren nicht übermütig würden. Ich finde die Idee nicht schlecht.

 

Ich habe das Gefühl, dass wir uns in unserer Gesellschaft nicht mehr wirklich mit unserer eigenen Sterblichkeit auseinandersetzen und ich finde das bedenklich. Die Kunst zu sterben und die Kunst zu leben sind nämlich eng miteinander verwandt. Unsere Gesellschaft bemüht sich, alles weg zu sortieren, was traurig aber auch nachdenklich machen könnte: Alte, Kranke, Verrückte, Arme, Gescheiterte, Sterbende.

Ich frage mich, ob das so gut ist. Ich habe Angst, dass wir „vermolchen“.

 

Zunächst ist natürlich offensichtlich, dass dieses System die Weg-Sortierten recht einsam macht und dass sie – aus den Augen aus dem Sinn – auch oft keine Aufmerksamkeit erreichen können wenn es um Gesetzesbeschlüsse oder mangelnde Versorgung geht

Davon abgesehen tun sich die jungen, gesunden Erfolgsmenschen aber auch nicht wirklich einen Gefallen damit. Wir werden permanent auf Konsum und Tempo getrimmt – dass nervt mich so unendlich!

 

Man soll vor allem belastbar, flexibel, schnell und stressresistent sein. Am besten mit kaufmännischer Ausbildung und fundierten PowerPoint-Kenntnissen.

 

Wer hingegen Lücken und Zick-Zack im Lebenslauf hat, dem wird es nicht helfen, wenn er sich beim Bewerbungsgespräch als liebevoller, gebildeter, achtsamer und erfüllter Mensch präsentieren kann. Diese Attribute gelten nicht als Schlüsselqualifikationen.

 

Sinn-los? Bewusst-los? Lieb-los? Das scheint völlig in Ordnung zu sein, solange man funktioniert.

Ich will aber nicht bloß funktionieren!

Meine Zeit hier ist schließlich begrenzt!

Und da empfiehlt es sich doch wirklich, hin und wieder inne zu halten und die gesteckten Prioritäten zu überdenken.

 

  • Gehe ich mit Magenschmerzen zur Arbeit?
  • rechtfertigt meine Karriere, dass ich meine Lieben kaum zu Gesicht bekomme?
  • Kann ich mit wenig(er) zufrieden sein?
  • Finde ich mich gut? Oder zumindest ok?
  • Fühle ich mich ab und an wunderbar?
  • Lache ich gelegentlich ganz herzlich?
  • Übernehme ich die Verantwortung für mein Leben?
  • Wenn ich morgen tot umfallen sollte – Welche Versäumnisse würden mich quälen?
  • Falls ich morgen doch nicht tot umfallen sollte – Könnte ich mich um diese Versäumnisse kümmern?

 

Trotz allem habe ich oft das Gefühl, meine Lebenszeit wäre eine zu kurz geratene Decke und wie ich diese auch drehe und wende, ich werde nicht all meine Ziele und Wünsche damit abdecken können.

Das geht mir – wie fast immer – nicht allein so. Georg Christoph Lichtenberg schrieb schon im 18. Jahrhundert:

 

„Es gibt zwei Wege, das Leben zu verlängern:

erstlich, daß man die beiden Punkte „geboren“ und „gestorben“ weiter voneinander bringt und also den Weg länger macht.

Diesen Weg länger zu machen, hat man so viele Maschinen und Dinger erfunden, daß man, wenn man sie allein sähe, unmöglich glauben könnte, daß sie dazu dienen könnten, einen Weg länger zu machen; […]

Die andere Art ist, dass man langsamer geht und die beiden Punkte stehen lässt, wo Gott will, und dieses gehört für die Philosophen.

Diese haben nun gefunden, dass es am besten ist, dass man zugleich botanisieren geht,
zickzack,
hier versucht, über einen Graben zu springen und dann wieder herüber,
wo es rein ist, und es niemand sieht, einen Purzelbaum wagt,
und so fort.“

 

Mit purzelbaumartigen Grüßen

Fräulein Bork